Die Synagoge Liesing und ihre virtuelle Rekonstruktion

Die Synagoge wurde im Jahr 1900 vom Bethausverein Minjan in der Karlsgasse in Atzgersdorf errichtet, das damals noch eine selbständige Vorstadtgemeinde war und erst 1938 zu Wien kam.

Architekt war Richard Esriel, der vor allem Mietshäuser und Villen realisierte, viele seiner Wohnhäuser stehen noch. Die Synagoge in Liesing war sein einziges öffentliches Gebäude. Richard Esriel wohnte mit seiner Frau Dora in der Anna Villa in Perchtoldsdorf (Hochstraße 55), das Gebäude ist noch erhalten. Zwei seiner Töchter wurden während der NS-Zeit ermordet, er selbst starb nach einer langen Erkrankung im Jahr 1938.

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Der Einreichplan der Synagoge

005044_recto_Scan_JMW_Jüdisches Museum Wien- Archiv.jpgEine Postkarte mit dem ursprünglichen Gebäude der Synagoge (Quelle: Jüdisches Museum Wien- Archiv)

Das Gebäude verfügte über drei Geschoße und zwei Ecktürme mit Kuppeln, zur Straße hin befand sich ein kleiner Vorgarten. In eigenen Bereichen gab es jeweils 120 Frauen- und Männersitze. 1922 wurde die Synagoge umgebaut, wodurch sich die Hauptfassade wesentlich veränderte. Der Eingang war danach nur noch über den rechten Turm möglich.

Es kamen hier Juden aus dem Raum Liesing und Perchtoldsdorf zusammen. Die nächsten Synagogen waren in Mödling und in der Eitelbergergasse in Hietzing. Alle diese Synagogen wurden Opfer des Novemberpogroms 1938.

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Die Synagoge nach dem Umbau 1922 (Quelle: Bezirksmuseum Liesing)

Zerstörung der Synagoge 1938
Die Liesinger Synagoge wurde in Folge der Pogromnacht des 9. Novembers 1938 zerstört. Die Bezirkshauptmannschaft Mödling-Liesing vermerkte, dass am 10. November 1938 „von unbekannten Tätern“ ein Brand gelegt worden war. Das Gebäude wurde am 10. November 1938 nachmittags durch mehrere Sprengladungen zerstört. Es war  Feuerwehr vor Ort, sie verhinderte lediglich das Übergreifen des Feuers auf andere Gebäude.

Noch im November 1938 wurde ein Bescheid erlassen, die Baureste der Brandruine zu demolieren. Im Jahr 1942 wurden am Grundstück Notwohnungen errichtet. Die Broschüre „Der 9. November 1938 in Liesing“ von Dr. Gerald Netzl schildert die Geschehnisse rund um das Novemberpogrom, sie enthält auch ein Interview mit einem Zeitzeugen und Behördenniederschriften.

Nach dem Ende des NS-Zeit wurde das Grundstück der Israelitischen  Kultusgemeinde Wien übertragen, die es veräußerte. Heute befindet sich am Grundstück ein Gebäude der Firma Kerkoc, die Adresse ist Dirmhirngasse 112.

Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge
Prof. Bob Martens von der TU Wien und DI Herbert Peter haben unter Beteiligung von StudentInnen die zerstörten Wiener Synagogen virtuell rekonstruiert. Die Grundlage dafür waren Planunterlagen und historische Abbildungen. Mit Hilfe von Software-Programmen wurde zunächst 3D-Modelle der räumlichen Strukturen erstellt und anschließend visualisiert. Das Ergebnis sind fotorealistische Ansichten dieses nicht mehr existenten Gebäudes. Das Buch „Die zerstörten Synagogen Wiens“, das als virtueller Stadtspaziergang konzipiert ist, stellt diese Aufbereitung vor.

Für die Projektionen bei der Gedenkveranstaltung am 9. November 2018 stellen Prof. Bob Martens  und DI Herbert Peter diese computergestützten Darstellungen der Synagoge Liesing zur Verfügung.

Die Rekonstruktionen sämtlicher Wiener Synagogen sind im Jüdischen Museum Wien zu sehen. Eine eigene Installation ermöglicht dort, die Synagogen-Gebäude selbständig virtuell zu besuchen. Eine ähnliche Möglichkeit besteht auch im Haus der Geschichte in St. Pölten.

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Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Liesing (Quelle: Martens/Peter TU Wien)

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Virtuelle Rekonstruktion des Innenraums (Quelle: Martens/Peter TU Wien)

Die Synagoge im Umfeld (Quelle: Martens/Peter TU Wien)

Weitere Informationen

Das Novemberpogrom in Liesing und Wien

Novemberpogrom am 9. November 1938 in Rodaun, Liesing & Mödling (Gerhard Metz) – Rodauer Pfarrblatt, Treffpunkt (PDF)

Die Synagoge Atzgersdorf / Liesing (Mag. Heide Liebhart) – Beitrag in der Kulturzeitschrift David

Über die virtuelle Rekonstruktion von Wiener Synagogen (Prof. Bob MARTENS) – Beitrag in der Kulturzeitschrift David

Diplomarbeit: Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Atzgersdorf (DI Franziska Graber) – TU Wien

Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Atzgersdorf (DI Franziska Graber) – Beitrag in der Kulturzeitschrift David

Der Atzgersdorfer Tempel beim Projekt OT – Lichtzeichen

Mehr zu Richard Esriel im Architektenlexikon

Die Broschüre „Der 9. November 1938 in Liesing“ von Dr. Gerald Netzl ist über den Verein Steine der Erinnerung in Liesing erhältlich.

Hanna Sukare: Schwedenreiter – Gespräch und Lesung am 8. November 2018 ab 18 Uhr in der Nr. 99 Buchhandlung im Kaufpark Alterlaa

Am 2. Juli 1944 begann der so genannte Sturm auf die Goldegger Deserteure. 14 Todesopfer fordert die von einem Großaufgebot von SS und Gestapo durchgeführte Suche. Die 2008 erschienene Ortschronik bezeichnet die Wehrmachtsdeserteure als „gefährliche Landplage“ und kürt einen SS-Mann zum Retter des Ortes.
Hanna Sukare setzt sich in ihrem Roman u. a. mit diesem Ereignis intensiv auseinander.

Hanna Sukare, geboren 1957 in Freiburg (i.Br.). Sie studierte Germanistik, Rechts-wissenschaften, Ethnologie. 1991/92 führte sie ein Forschungsaufenthalt nach Lissabon. Hanna Sukare war unter anderem als Journalistin, Redakteurin (Falter, Institut für Kulturstudien) und Wissenschaftslektorin tätig und beschäftigte sich in wissenschaftlichen Studien mit dem gesellschaftlichen Fundus des Fremden. Hanna Sukare gewann mit ihrem Debüt-roman „Staubzunge“ den Rauriser Literaturpreis 2016 für die beste Prosa-Erstveröffentlichung in deutscher Sprache.

Eine Veranstaltung im Rahmen des Lesefestes der Buch Wien

Gedenkveranstaltung zur Euthanasie

Als erster Bezirk Wiens errichtete Liesing eine Gedenktafel für die Opfer der NS-Euthanasie. Wir widmen diesem Thema nun am 5.10.2018 eine eigene Veranstaltung und konnten dafür einen besonders versierten Referenten gewinnen:  Dr. Wolfgang Neugebauer, der ehemalige Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW). Er spricht über „Das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten“, ein Thema, mit dem er sich  ausführlich beschäftigt hat. Zuvor wollen wir auch eine kurze Einschätzung zur Situation in Liesing geben. Die Musikschule Liesing wird die Veranstaltung musikalisch begleiten.

Am selben Tag stellen wir außerdem neue Steine der Erinnerung für Sophie Lechner und Helene Heimler in Mauer vor.

17.00 Uhr
Maurer Lange Gasse 90, 1230 Wien
Stein der Erinnerung für Sophie Lechner

17.30 Uhr
Jesuitensteig 19
Stein der Erinnerung für Helene Heimler
mit einem musikalischen Beitrag der Freien Musikschule

 18 15 Uhr
„Das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten“
Helmut Zilk Haus, Haeckelstraße 1 A, 1230 Wien
Vortrag Dr. Wolfgang Neugebauer, ehemaliger Leiter des DÖW
Musikalische Begleitung: Musikschule Liesing
Mit freundlicher Unterstützung durch die Oberbank

Gedenktafel für Liesinger Euthanasieopfer

Tausende Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten fielen dem Euthanasieprogramm des Nationalsozialismus zum Opfer. Eine Gedenktafel auf dem Gelände des ehemaligen Versorgungsheims macht nun darauf aufmerksam, dass auch Menschen aus Liesing ermordet wurden. Es waren viele alte Menschen darunter, aber auch Kinder. Die Tafel wird im Zuge der offiziellen Eröffnung des neuen Schlossparks enthüllt. Liesing ist damit der erste Bezirk, der der Euthanasie-Opfer gedenkt.

Zumindest 140 Personen mit Bezug zum heutigen Bezirk Liesing wurden im Rahmen des Euthanasieprogrammes in den Jahren 1940 und 1941 ermordet, dies ergaben Recherchen des Vereins Steine der Erinnerung in Liesing. Die Gedenktafel trägt die Namen all dieser Menschen. Sie lebten zuvor im ehemaligen Versorgungshaus und in anderen sozialen Einrichtungen im 23. Bezirk. Die Tafel erinnert außerdem an Menschen, die zuvor in Liesing wohnhaft waren, dann in Anstalten außerhalb Wiens lebten und ermordet wurden. Es ist anzunehmen, dass weitere Menschen im Zuge der Euthanasie ermordet wurden.

Enthüllung der Gedenktafel für Euthanasieopfer
Dienstag, 15. Mai 2018, 11.00
Schlosspark, Pflegewohnhaus Liesing
Haeckelstraße 1A, 1230 Wien

Das Pflegewohnhaus im Schloss Liesing

Die Wurzeln des Schlosses reichen weit zurück: Bereits 1387 wurde ein erster Gutshof erwähnt. Im 18. Jahrhundert wurde rund um einen Graben ein Wasserschloss errichtet, das schließlich als Pflegeanstalt diente. Die Stadt erwarb das Areal Ende des 19. Jahrhunderts und richtete ein Versorgungshaus ein, das alten Menschen sowie Personen mit körperlichen und geistigen Gebrechen Platz bot. 1879 wurde ein Zubau fertiggestellt – insgesamt konnten nun 850 sogenannte „Pfründner“ unterbracht werden. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Heim beschädigt. Es wurde danach zunächst mit 200 und dann 718 Betten neu eröffnet. 2009 begann ein Neubau des Pflegewohnhauses – 2013 wurde dieses Helmut-Zilk-Haus eröffnet. Das alte Schlossgebäude beherbergt jetzt nach einer umfassenden Renovierung u. a. die Musikschule Liesing.

Das Euthanasieprogramm T4 des Nationalsozialismus

Die systematische Ermordung sogenannten „unwerten Lebens“ erfolgte ab 1940 in Hartheim bei Linz und in fünf Tötungsanstalten in Deutschland. Auf Druck der Öffentlichkeit wurde die zentral gesteuerte Ermordung 1941 gestoppt, in einzelnen Anstalten wurde sie allerdings trotzdem bis 1945 weitergeführt. Insgesamt wurden etwa 200.000 Menschen ermordet.

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Der Text der Gedenktafel

Zur Erinnerung an die Liesinger Euthanasieopfer

Tausende Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten fielen dem Euthanasieprogramm T4 des Nationalsozialismus zum Opfer. Die systematische Ermordung sogenannten „unwerten Lebens“ erfolgte ab 1940 in Hartheim bei Linz und in fünf Tötungsanstalten in Deutschland. Auf Druck der Öffentlichkeit wurde die zentral gesteuerte Ermordung 1941 gestoppt, in einzelnen Anstalten wurde sie allerdings trotzdem bis 1945 weitergeführt. Insgesamt wurden etwa 200.000 Menschen ermordet.

Wir wollen hier der Liesinger Opfer gedenken:

Wir erinnern uns an die Menschen, die im ehemaligen Versorgungshaus und in anderen sozialen Einrichtungen im 23. Bezirk untergebracht waren, sowie an jene, die zuvor in Liesing wohnhaft waren und in Anstalten außerhalb Wiens lebten und ermordet wurden.

Newsletter 4/2018

Sehr geehrte InteressentInnen, liebe Mitglieder!

Wir freuen uns sehr, dass ein besonderes Projekt endlich realisiert wird:
Am 15. Mai 2018 wird im Zuge der Eröffnung des Liesinger Schlossparks beim Helmut Zilk Haus, Haeckelstraße 1A, 1230 Wien (auf dem Gelände des ehemaligen Versorgungsheims Liesing) eine Gedenktafel für die Liesinger Opfer des NS-Euthanasieprogramms enthüllt.

Programmablauf:
Eröffnungsfeier:  11 Uhr
Treffpunkt:  vor dem Schlossturm

Begrüßung:
Walter TEUSCHLER Leitender Direktor, Pflegewohnhaus Liesing

Ansprachen:
Drin Susanne DRAPALIK
Direktorin, Teilunternehmung Geriatriezentren und Pflegewohnhäuser der Stadt Wien

Gerald BISCHOF
Bezirksvorsteher f. d. 23. Bezirk

Enthüllung der Gedenktafel für die Liesinger Opfer des Euthansieprogramms durch den Verein „Steine der Erinnerung“

Im Herbst 2018 (genaues Datum wird noch bekannt gegeben) wird es eine Diskussionsveranstaltung zum Euthanasieprogramm geben.

Nächste Eröffnung neuer Stationen: 30. Juni 2018 um 15 Uhr im Raum Ketzergasse.

Für den Verein Steine der Erinnerung in Liesing
Waltraut KOVAČIČ
Robert PATOČKA